F.K. Waechter lebt!
Dieser Text von F.W. Bernstein erschien zum Tod von F.K. Waechter in der Titanic.
Danzig, Kurzfassung
Daniel, Günter und Friedrich Karl. Drei Söhne Danzigs. Vaterstadt war gute Mutter, gab jedem ein Tuschegläschen und eine Zeichenfeder mit auf den Lebensweg und schickte sie in die weite Welt. Wer hat das echte Zauberzeichenzeug? Ein Ding von unschätzbarem Wert, es hatte die geheime Kraft, vor Gott und den Menschen angenehm zu machen.
Der Älteste zog hinaus ins 18. Jahrhundert, nach Berlin, illustrierte die deutsche Aufklärung, Auftraggeber Lessing und Lichtenberg. Daniel Chodowiecki sein Name, überlebte mehrere Kriege, wurde Präsident der Akademie, starb hochgeehrt 1801.
Günter Grass, geboren am gleichen Tag wie Daniel, 201 Jahre später. Überlebte einen Weltkrieg, ging nach Berlin. Bildhauerei, dicke Bücher, Präsident der Akademie. Und Zeichnerei: »Ich zeichne eigentlich immer, auch wenn ich nicht zeichne.« Nobelpreis – da hat er wunderbar getanzt in Stockholm im Frack.
Friedrich Karl Waechter, Danzig, Jahrgang 1937. Krieg überstanden, »1944/45, um die Jahreswende, fliehen wir auf der Anita Najade, Netzleger Nr. 4, in 15 Tagen über die verminte Ostsee bis Warnemünde. Es gibt nur Feldpostpapier zum Zeichnen …«
Dann ging er – nein, nicht nach Berlin. »Mit meiner Mutter, einer alten Tante und meinen beiden Geschwistern erreiche ich mit der Eisenbahn und am Ende mit einem strohbedeckten Pferdewagen das Dorf Sahms im Südosten Schleswig-Holsteins …«
Dann Mölln – Eulenspiegel? geschenkt! –, dann zum Studium nach Hamburg, Kunstschule Alterdamm, Ausbildung zum Gebrauchsgrafiker; erste Stelle in Freiburg bei der Oberbadischen Annoncenexpedition (OBANEX). Dann, 1962, Frankfurt. Chefgrafiker bei Pardon. Und fortan wird mit den Jahren auch den Blinden klar, daß er es war, der über jene magische Zeichengabe verfügt, Sie wissen schon.
In einem zeitgenössischen Nachruf auf Daniel »Aufklärung« Chodowiecki, den ersten Danziger Großmeister, heißt es: »(Er ist) der Stifter einer neuen Kunstgattung in Deutschland: der Darstellung moderner Figuren mit einer Wahrheit des Ausdrucks und einer unnachahmlichen Laune, verbunden mit der strengsten Hinsicht auf sittliche Besserung«.
Nichts anderes hatte doch Adele im Sinn, Waechters Hauptfigur auf seinem gloriosen Blatt: Adele zeigt ihren Brüsten die Männer.
Tod endlich besiegt!
Zeugniskonferenz
In seinem Sammelband von 1991 Mich wundert, daß ich fröhlich bin finden wir auf zehn Seiten seinen Lebenslauf »Mein Lebenslauf«. Darin auf S. 195 abgedruckt »Das letzte Zeugnis«, sein »Abgangszeugnis« der Lauenburgischen Gelehrtenschule, Ratzeburg, Kreis Herzogtum Lauenburg, vom 9. März 1957.
Darin: »Wir entlassen ihn, da er jetzt die Schule verläßt, um eine Kunstschule zu besuchen.« Wir haben die Frage zu klären, ob sich in den vergangenen Jahrzehnten an den Leistungen des Friedrich Karl Waechter viel geändert hat.
Religionslehre: gut. Gott selbst, letzte Instanz, wird es wohl bei dieser guten Note belassen. Waechter hat ihn in Gott ist dran richtig populär gemacht. Da hält Gott Gerichtstag: »Wie sieht es denn hier aus!«; zeigt seine Allmacht: »Kann ich mal bei Ihnen telefonieren?« und läßt Gnade walten: »Was will ich denn eigentlich? Sind doch prächtige Menschen, diese Döbels. Bißchen schlampig, je nun …«
Wenn ich dem Jüngsten Gericht vorgreifen darf: der Gesang des Kindchens! Ein Teufelsbaby singt: »Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehren …« Und vier Großteufel stehen machtlos vis-à-vis.
Deutsch: ausreichend. Das ist deutlich besser geworden. Eine Eins dürfte noch einem der erfolgreichsten und meistübersetzten Bühnenautoren angemessen sein. Oder?
Geschichte: ausreichend. Das reicht aus.
Waechter hat sich in seiner grafisch-dramatischen Arbeit mit Friedrich dem Großen beschäftigt (Sie erinnern sich: »Ich bin der erste Diener meines Staates.« Sofort seine Grenadiere: Zweiter … Dritter … Vierter …).
Dschinghis Khan kommt vor und mancher namenlose König. Doch – es reicht aus.
Erdkunde: auch ausreichend. Da hat er sich gesteigert. Allein der Weg der Eisprinzessin, die Landkarten-Projekte. Mit der Lokalisierung könnte er präziser sein. Note drei. Eins rauf!
Englisch: mangelhaft. My God! Bitte: Da fragt die Lehrerin auf S. 95 in Glückliche Stunde: »What is the matter with you, Eberhard?« Der antwortet: »Also – ich find das echt geil, daß die Englisch-Lehrerin so sagenhafte Titten hat – echt.« Die Lehrerin: »In English, please!« Wenigstens das Englisch ist korrekt. Eine Vier?
Biologie: befriedigend. Eine glatte Drei.
Bleibt dabei. Befriedigend. Wie seine anatomischen Studien.
Musik: ausreichend? Er hat mit den Besten dieses Faches gearbeitet: Heiner Goebbels, Arni Arnold, Alfred Hardt … In allen seinen Stücken wird Musik gemacht, gespielt und gesungen. Mindestens befriedigend? Oder doch knapp gut?
Zeugnissingen?
Leibesübungen: sehr gut. Geht in Ordnung. Fußball: Wie die Sturmspitze im dunklen Trikot in neun Bildern vier Gegner aussteigen läßt und noch den Torwart in die falsche Ecke schickt – und das noch vor Maradonas sagenhaftem Torlauf 1986 gegen England. Auch sehr gut: »Die elf bekanntesten Stellungen bei der Selbstbefriedigung des Mannes«.
Zeichnen und Kunsterziehung: Was wohl!
Er selbst erinnert sich in »Mein Lebenslauf«: »Bei meinen Mitschülern kann ich mit witzigen Männchen Anerkennung ernten. Sie schieben mir Hefte zu, damit ich ihnen etwas Komisches hineinzeichne. Dieter Bach und Gernot Rara haben sogar nur für meine Männchen Hefte angelegt …«
Lasset den Lobgesang hören
Robert Gernhardt war der erste. Im Frankfurter Club Voltaire hielt er 1965 die Eröffnungsrede der ersten Waechter-Ausstellung.
Er sprach vom Grafiker, »der an einem Scheideweg steht: Soll er diesen Witz« – den Cartoon mit rein grafischen Mitteln; Ahnherr Paul Klee, bedeutendster Protagonist Saul Steinberg – »weiterentwickeln? Oder soll er dem beherrschenden Trend der Cartoonisten unserer Zeit folgen? Soll er ein Männchen entwickeln? … Die erste Entscheidung hätte ihn in dubiose Gefilde der Hochkunst entführt … die zweite hätte seinen Marktwert beträchtlich steigern können … Waechter ging keinen der beiden Wege …«
24 Jahre später – Waechters Marktwert war beträchtlich gestiegen, Waechter stellte im Wilhelm-Busch-Museum in Hannover aus. Gernhardt feiert die »grafische und artistische Opulenz«. Und zitiert die Frankfurter Kunstkritikerin Christa Spatz, die anläßlich einer Waechter-Ausstellung in Gelnhausen in den 70er Jahren schrieb: »Wir freuen uns auf weitere neue Geschöpfe aus Waechters nimmermüdem und stets zärtlichem Pinsel.«
Hans Traxler über Waechters Zeichenkunst im Nachwort zu dem dicken Diogenes-Band Waechter von 2002: Er schreibt vom »coup de grace«, vom »Moment der Gnade«, von »diesem somnambulen Glücksmoment des Zeichnens, wo einer so gut drauf ist, daß ihm aber auch alles gelingt … Es läßt sich nicht übersehen, daß der besagte gebenedeite Zustand bei Waechter auffallend häufig auftritt. Die Folgen sind: eine makellose Eleganz im Linienfluß, schlafwandlerische Sicherheit in der Anwendung von einem Dutzend grafischer Techniken … eine apollinische Heiterkeit, Pointen von gewagtester Drastik bis hin zum verschwebenden dreifachen Pianissimo und ein über allem waltender Kunstverstand.« Gabriele Killert in ihrem Nachruf im Berliner Tagesspiegel zitiert den Knecht in Waechters Stück vom Teufel mit den drei goldenen Haaren: »Ich bin in einer Glückshaut geboren …« Sie schreibt Waechter ebensolche Glückshaut zu als dem federführenden Großmeister der »Neuen Frankfurter Schule«, die im »deutschen Humorverständnis eine kleine kopernikanische Wende herbeiführte … Bis dahin war die Komik ja eine Scheibe; ziemlich flach und begrenzt. Mit Waechter … ging’s dann rund«. Zeichnen ist Glückssache. Zum Glück haben wir Waechters Kunst.
Casablanca
Stellen wir uns vor, nicht die Musik hätte den Wettstreit der Künste gewonnen, sondern die Zeichnerei und Malerei wären noch die Nr. 1. Und dann diese Szene: Ingrid Bergman betritt Ricks Café in »Casablanca«. Sie sagt nicht »Play it again, Sam« (was sie in echt und im Film auch nie sagt), sondern sie sagt: »Draw it again, Fritz«, und unser Caféhauszeichner geht an seine Staffelei, und möglicherweise hätte der Film eine ganz andere Richtung genommen – as time goes by …
Was hat uns Waechter heute noch zu sagen?
»Kasperle, Kasperle, was machst du mit mir?« Waechter hat immer viel zur Humanisierung des Liebeslebens beigetragen; bitteschön: »Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, dem Beischlaf wird in unserer Gesellschaft eine viel zu große Bedeutung beigemessen. Er sollte so selbstverständlich sein wie unser tägliches Morgengebet.«
Und so geht eine Liebeserklärung:
Er liegt ihr zur Füßen. »Ich liebe Sie!«
Sie: »Sie? Mich? Mit allen Fasern Ihres Herzens?«
Er: »Jawoll!«
Den noch: »Er sieht zwar nicht gut aus, aber er küßt wie eine gesengte Sau.«
Das Comeback
Irgendwo in der Redaktion müssen noch alte Hefte lagern aus den 90ern. Anno 92 nimmt er seinen Abschied von der Zeichnerei in einem langen Interview. »30 Jahre sind genug«, sagt er und ist nicht mehr zufrieden mit der Einsamkeit am Tuschtisch, somnambule Glücksmomente hin, coup de grace her. Im Theater sei mehr los. Vorher – die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht – gab’s in jedem Hefi – »Hefi« ist gut. Besser als »Heft« – in jedem Hefi, sage ich, gab’s zwei Waechter-Premieren: »Das stille Blatt« und »Die Rückseite« – jeweils ein ganzseitiger Cartoon. Und damit sollte es nun ein End haben? Im Theater hatte er schon zwei Erfolgsstücke vorgelegt: »Schule mit Clowns« und »Kiebich und Dutz«. Und nun fing Waechters »theatralische Sendung« erst richtig an, und manche Stücke sind immer noch und hoffentlich noch lange im Repertoire. Doch Jahre später spürte er, daß Übler Überdruß aufqualmte und Lore Langeweile ihren grauen Mantel … Er wußte, was zu tun war. Zeichnen? Genau! Und er produzierte Kinderbücher eins nach dem anderen, der Rote Wolf brachte ihm den zweiten deutschen Jugendbuchpreis ein, und das vorletzte große Buch, sein Prinz Hamlet, bündelt Theater und Grafik auf durchaus somnambule Weise – wir wissen ja: Auch seine Cartoons sind Inszenierungen, »Papiertheater«, wie Wilhelm Busch sein Zeichengeschäft nannte. Bitte: »Ein Riß ging durchs Zimmer – der Abend war gerettet« – eine Szene einer Ehe, aber schon wie!
Die Schöpfung
Das war sein größtes Buch, bis Waechter erschien 2002. Und handelt vom kleinsten Schöpfer, einem Bengel mit roter Fliege am Hals und Zylinder auf dem Kopf. Eine Rieseninszenierung mit allen Papierbühnentricks des graphic design. »Und weil sonst nichts war, machte ich in die Leere und machte das Meer.« Der namenlose Knirps pinkelt, und das Meer erglänzte weit hinaus. Dann furzt er noch den Wind und kackt das Land und schafft sich sein Ebenbild, das ist aber ein Mädchen. Und dann wird gottsallmächtig collagiert und die Welt erschaffen, daß es nur so eine Unart hat – es ist eine Pracht, wie er das macht.
Und doch denk ich oft zurück an das Glück der Kronenklauer, deren Text er mit Bernd Eilert gemacht hat. Und an sein dünnstes kleinstes Kinderbuch: Wer kommt mit auf die Lofoten, Anfang der 70er Jahre für Moritz, Robert und Philip, seine Söhne, in ein Schulheft geschrieben und gezeichnet, als er grade in Norwegen war. Erschienen ich glaub 81 – im VSA-Verlag Hamburg im Rahmen der Kinderbuchreihe »Der Große Bär«. Wo bleibt die Neuauflage? Überhaupt: Die Gesamtausgabe! Und seine Filme!
Finale I
In seinen Cartoons ist er der Meister der Ensembleszenen. Wird deshalb auch – von mir – der Mozart des Cartoons genannt. »Im Alter mußten wir Ralfi einäschern, weil er sein Wasser nicht mehr halten konnte.« Auf der Bühne sieben Personen, die auf sieben Arten ihre Betroffenheit zeigen – sehen Sie selbst! Dergleichen find ich nur noch bei den Finalszenen von Mozarts Da-Ponte-Opern. Figaro!
Finale II
»Ich lag in meinem Grab und weinte vor Glück und sog den Duft der feuchten Erde ein und sah den Mädchen nach in ihren dunklen Pluderhosen und glaubte eine gut zu kennen aus meiner Zeit in Mölln. Sie wohnte in der Bismarckstraße und hatte damals lange blonde Haare, und einmal haben wir in einem dunklen Hausflur rumgeknutscht, weil sie mich offenbar für Manfred Holthoff hielt.«
(Das war im Oktober-Hefi Titanic 1987 das »Stille Blatt«.)